Sprachlos in der
Kommunikationsgesellschaft?
Viele Menschen nutzen nicht das Potenzial, das im persönlichen Gespräch liegt. Und merken oft zu spät, welche Folgen das hat.
Ich bin ein ziemlich kommunikativer Mensch. Manchmal zu mitteilsam,
meint (nicht nur) meine Frau. Okay, es scheint da ein gutes Normalmaß zu
geben, das ich nicht immer ganz treffe. Aber man kann auch auf der
anderen Seite vom Pferd fallen. In letzter Zeit gewinne ich immer mehr
den Eindruck, dass viele Menschen ihr Leben durch Sprachlosigkeit
unnötig einschränken und sich von vielen guten Möglichkeiten
abschneiden. Vielleicht mehr Männer als Frauen, aber sicher auch Frauen.
Das Wort „sprachlos“ ist an dieser Stelle natürlich nicht ganz
treffend; ich möchte es aber verwenden, um zu provozieren, um
aufzurütteln.
Kann es sein, dass sich um uns herum eine Kultur der „Sprachlosigkeit“
entwickelt hat? Eine Kultur des Stillhaltens als der Methode, mit der
man am wenigsten aneckt, vermeintlich am seltensten Schwieriges erlebt?
Natürlich kann ein Mensch sich bewusst dafür entscheiden und trägt dann
halt die Folgen. Aber ich habe den Verdacht, dass allzu viele unbewusst
in eine solche Haltung hinein gewachsen (geschrumpft?) sind. Und
trotzdem die gleichen Folgen tragen.
Mir geht es dabei nicht darum, wie viele Worte jemand pro Tag sagt.
Auch jemand, der zu allem und jedem eine Meinung äußert, kann
„sprachlos“ sein. Ich meine Gespräche, die uns weiter bringen.
Natürlich brauchen wir Smalltalk, wir brauchen Gespräche über die große
Politik und über das neue Auto. Wir brauchen Gespräche über
Äußerlichkeiten und über Leute, denen wir lieber aus dem Weg gehen
(würden). Aber wir brauchen auch Gespräche über Inneres, über unseren
Umgang miteinander, über Sehnsüchte und die langjährige Wirklichkeit.
Viele werden sagen: Das ist für mich eigentlich kein Problem. Wenn ich
mal über so etwas mit jemandem reden will, dann finde ich auch jemanden
und mache das. Das ist gut! Das ist zwar noch nicht alles, auf was ich
hinaus will, aber bestimmt schon die „halbe Miete“. Es gibt genug Leute,
darunter viele Männer, die schon dabei denken: Schön wär’s.
Aber ich möchte, zumindest für die „Fortgeschrittenen“, noch ein
bisschen weiter gehen. Es ist sicher gut, wenn ich in einer
entsprechenden Situation jemanden finde, der mir zuhört und vielleicht
gar nicht so viel dazu sagt. Auch wenn wir gemeinsam beten für ein
Anliegen, das ich habe. Was ich darüber hinaus meine, sind Situationen,
in denen ich selbst vielleicht gar keinen Gesprächsbedarf sehe. Oder in
denen ich bestimmte Fragen oder Gebetsanliegen habe, aber der Kern der
Sache vielleicht woanders liegt.
Ehe ich dazu noch ein paar allgemeine und auch speziellere Gedanken
weitergebe, hier zunächst einfach mal ein Beispiel:
Steffen ist Anfang 30 und würde gerne heiraten. Diesen Wunsch hat er
nicht erst seit ein paar Jahren. Eigentlich ununterbrochen seit der
Jugendzeit, also seit über 15 Jahren, sehnt er sich nach einer Freundin.
Er hat auch zwei relativ kurze Freundschaften gehabt, die letzte mit 19.
Seitdem hat er sich sehr positiv entwickelt. Er interessiert sich immer
wieder für Frauen, die er kennen lernt, aber wenn mal eine Frau für ihn
etwas Interesse zu haben schien, dann verlor sich das nach Tagen oder
spätestens Wochen. Er sagt sich, dass er einfach noch nicht die
Richtige gefunden hat, und betet weiter, dass Gott dieses große Problem
in seinem Leben lösen möge. Die Männer, mit denen Steffen gelegentlich
etwas unternimmt, könnten viele Punkte benennen, die ihn eigentlich für
Frauen attraktiv machen müssten, aber keinen einzigen nachteiligen.
An einem Sonntagnachmittag macht Steffen einen Spaziergang mit Peter,
einem zehn Jahre älteren, verheirateten Mann, mit dem er bisher nur
wenig zu tun hatte. Peter erzählt im Verlauf des Gesprächs, als das
gerade gut passt, einiges aus seinem Leben und auch aus seiner
Single-Zeit. Das wiederum ermutigt Steffen, Peter ein wenig von seinem
bisher vergeblichen Wunsch nach einer Freundin zu berichten. Im weiteren
Gespräch über verschiedene Themen fasst Steffen mehr Vertrauen zu Peter,
und Peter stellt ihm ein paar gezielte Fragen zu seinem Umgang mit
Frauen und mit seinem Single-Dasein. Im Gespräch darüber
kristallisieren sich ein, zwei Punkte heraus, die möglicherweise
tatsächlich bei Frauen die „Vorsicht-Lampe“ aufleuchten lassen. Im Laufe
der nächsten Monate sprechen Steffen und Peter noch zwei, drei Mal über
den Themenbereich, und Steffen sieht einige Zusammenhänge klarer. Er
überdenkt seine Einstellungen gegenüber Frauen, die sich auf sein
Verhalten auswirken. Auch sein Leben als Single sieht er in einem neuen
Licht.
Steffen ist jetzt, ein Jahr nach dem ersten Spaziergang mit Peter,
immer noch Single. Aber ein glücklicherer.
Bei diesem Beispiel geht es mir nicht um das Thema unfreiwilliges
Single-Dasein, sondern darum, welchen Unterschied Bereitschaft zum
offenen Gespräch machen kann. Ich möchte es mal in einem Kernsatz
zusammenfassen: Zu jeder Situation, in
der ich mich befinde, gibt es ein zusätzliches Potenzial an
Informationen, möglichen Wegen und Unterstützung, das ich nur dann
erschließen kann, wenn ich mit anderen darüber spreche. Und, um
noch eins draufzusetzen: Manchmal
liegen die Knackpunkte an Stellen, die ich von mir aus gar nicht ins
Gespräch gebracht hätte.
1. Sprachlos, weil ich selbständig bin?
Die meisten von uns sind durch Schule, Ausbildung, Internet-Nutzung zur
Selbständigkeit getrieben worden, was ja eigentlich sehr gut ist. Bei
Dienstleistungen heißt es heute: Hilf dir selbst, informiere dich
selbst, sonst wird’s teuer. Mein eigener Umgang mit Situationen, in
denen ich mich befinde, passt gut in diese Linie. Mit meiner Frau
spreche ich viel, aber bevor ich mich mal jemand anderem anvertraue,
neige ich dazu, erst mal alle Möglichkeiten auszureizen, selbst einen
Weg zu finden, auch wenn es vielleicht nicht der beste ist.
Zeitmangel, egal ob objektiv oder nur subjektiv empfunden, kann
verhindern, dass Gespräche eine fruchtbare Tiefe erreichen oder
überhaupt zustande kommen. So durchlebt man Situationen in erzwungener
Selbständigkeit. Das Gefühl des ständigen Effektiv-Sein-Müssens kenne
ich gut aus eigener Erfahrung und möchte nicht wieder dahin zurück.
Unmerklich wird aus einer Übergangszeit, in der es sicher sinnvoll ist,
alle Kräfte auf ein Ziel zu bündeln, ein Dauer-Ausnahmezustand, wie es
bei mir über zehn Jahre lang fast ununterbrochen war. Nun, nach Ende
dieser Phase, möchte ich mir den Zustand erhalten, dass ich Zeit für
Menschen habe, und nicht nur für das Dringendste und Wichtigste. Und
dass ich auch Zeit habe, mich anderen mitzuteilen. Dann können Gespräche
entstehen, die uns weiter bringen.
Wohl jeder Mensch hat eine „Nie-wieder-Automatik“, die bei extrem
negativen Erlebnissen alle inneren Hebel in Bewegung setzt, damit man so
etwas nie wieder erlebt. Leider meist mit einer Reihe von
Zusatzwirkungen, die oft destruktiv sind. Wenn ein Mensch irgendwann in
seinem Leben erlebt hat, wie mit einem persönlichen Anliegen ungut
umgegangen wurde, dann verhindert die Nie-wieder-Automatik u.U., dass er
sich jemals wieder jemandem anvertraut. Selbständigkeit als der
vermeintlich einzige sichere Weg. Es ist nicht leicht, solch ein
Verhaltensmuster umzutrainieren. Man kann sich aber durch schrittweises
„Vortasten“, ausgehend vom normalen Umgang miteinander, relativ sicher
werden, dass ein Mensch mit einem persönlichen Thema gut umgeht.
Auch die eigenen Eltern haben möglicherweise dazu beigetragen, dass man
sich darauf versteift, alles alleine klären zu wollen. Wenn man als
junger Mensch ungefragt mit Warnungen und Tipps überhäuft wird, ist die
zunächst gesündeste Reaktion darauf, erst einmal alles innerlich
abzublocken, was von außen kommt. Man will ja schließlich seine eigenen
Erfahrungen sammeln und selbständig das Leben meistern. Es ist aber
möglich, als erwachsener Mensch seine Eltern zu respektieren, indem man
sich ihre Vorschläge und Warnungen anhört, als Informationen irgendwo am
Rande ablegt und dann auf Basis aller Informationen seine Entscheidungen
trifft. Genauso ist es möglich, den Rat anderer zu suchen, aber
trotzdem letztlich selbst zu entscheiden, welchen Weg man wählt.
Es mag Christen geben, die denken: Wenn Gott mir etwas klar machen
will, dann schafft er das auch ohne dass ich anderen Menschen irgendwas
von meiner Situation erzähle – durch das Zusammenleben mit Gott bin ich
selbständig. Wer tatsächlich sicher ist, dass Gott ihm immer direkt
alles Nötige klar machen wird – toll! Was ich in diesem Abschnitt
schreibe, richtet sich an alle anderen, die – ähnlich wie ich selbst –
bisher erlebt haben, dass Gott auf vielfältige Weise an uns arbeitet und
das ganz oft auch durch Menschen tut.
Insgesamt ist es natürlich gut, wenn Menschen möglichst selbständig
sind. Niemand möchte ständig wegen jedem Kleinkram um Rat und Hilfe
gefragt werden. Aber auch der selbständigste Mensch sollte das Potenzial
nicht völlig ungenutzt lassen, das im Gespräch mit anderen liegt. Die
Entscheidungen trifft er weiterhin selbst, aber hoffentlich auf einer
breiteren, festeren Basis.
2. Sprachlos bei den Allernächsten?
Als die Allernächsten will ich mal die Menschen bezeichnen, mit denen
ich zusammen lebe, sei es als Ehepaar, als Familie oder als
Wohngemeinschaft. Außerdem meine Verwandten 1. Grades (Eltern, Kinder),
auch falls ich nicht mehr mit ihnen unter einem Dach lebe.
Mit 23 Jahren habe ich in einer gemischten Wohngemeinschaft gelebt.
Eines Tages sprachen mich meine Mitbewohner auf ein mir unangenehmes
Thema an. Das wurde zu einer der Erfahrungen, die mein Leben am meisten
positiv geprägt haben, und ich bin ihnen heute noch dankbar dafür. Ich
bin mir sicher, dass mein Leben an vielen Stellen einen anderen,
ungünstigeren Verlauf genommen hätte, wenn sie das damals nicht getan
hätten. Worum ging es?
Ich war als junger Mann seit Jahren der Meinung, ich sei „hart
gegenüber mir selbst und anderen“, und das sei eine gute
Lebenseinstellung. Meine Mitbewohner öffneten mir die Augen dafür, dass
das wohl fast ausschließlich Punkte betraf, in denen es mir leicht fiel,
mich an einen von mir selbst vorgegebenen Standard zu halten, während
ich den anderen damit das Leben schwer machte. Meine eigenen Schwächen –
auf anderen Gebieten – waren mir gut erklärlich, aber die Schwächen der
anderen brachte ich immer wieder zur Sprache.
Es gehörte schon einiger Mut dazu, einen so selbstgerechten Menschen
wie mich direkt darauf anzusprechen, zumal mir bei kaum einem Thema mal
die Argumente ausgingen. Aber meine Mitbewohner haben es geschafft, mich
so „aufzurütteln“, dass ich zur Besinnung gekommen bin.
Bei Kritik an den Allernächsten kann man oft vorher schon abschätzen,
wie die Reaktion wohl sein wird, gerade wenn man sich schon sehr lange
kennt. Deshalb lässt man es meist von vornherein. Damit nimmt man sich
selbst und dem anderen aber die Chance auf Veränderung.
Es gibt allerdings auch das ständige Kritisieren, die Nörgelei. Dabei
muss man sich fragen, ob die innere Haltung, die dahinter steht, nicht
eine grundsätzliche und vielleicht auch spezielle Unzufriedenheit ist.
Unbewusst signalisiert der Nörgler: Wenn es mir schon nicht gut geht,
möchte ich wenigstens dafür sorgen, dass es anderen um mich herum auch
nicht gut geht. Es liegt auf der Hand, dass Nörgeln kein Weg aus der
Sprachlosigkeit ist und fruchtbare Gespräche eher verhindert.
Neben dem ständigen Nörgler gibt es noch den Ausbruch-Kritisierer. Er
bemüht sich meistens um eine positive Atmosphäre ohne Nörgelei. Aber
manchmal, selten, möglicherweise wenn er gerade mit etwas (anderem)
unzufrieden ist, bricht alle aufgestaute Kritik aus ihm heraus. So
intensiv und so lange, bis – wie bei einem Gewitter – er wieder
„entladen“ ist, auf Kosten des Beschimpften. Der ist meist damit
überfordert, aus dem ganzen Haufen Kritik alles Ungerechtfertigte und
Übertriebene ungeprüft zu „entsorgen“ und die ein, zwei Punkte
tatsächlich angebrachter Kritik herauszufiltern, gerade wenn bei dem
Ausbruch wenig Liebe zu spüren war.
Wir sind halt nur Menschen und sollten in unserem eigenen Interesse
Aggressionen nicht in uns hinein fressen. Aber zu konstruktiver
Kommunikation gehört auch, dass wir uns nach einer Phase des Nörgelns
oder einem Kritik-Ausbruch besinnen und den anderen in möglichst
entspannter Atmosphäre um Vergebung bitten für die falsche Art der
Kommunikation. Wenn das bereinigt ist, könnte man die Frage anschließen,
ob er die innere Offenheit hätte, konstruktiv über ein (!!) Thema zu
sprechen, das noch in der Luft hängt. Diese Frage darf aber nicht
rhetorisch rüber kommen, d.h. der andere sollte tatsächlich die
Möglichkeit haben zu sagen, dass er diese Offenheit (momentan) nicht
hat, aber an einem anderen Tag vielleicht noch mal darüber sprechen
wollen würde. In einer relativ entspannten Situation, in der
gegenseitiges Wohlwollen oder Liebe vorherrscht, kann ein Thema auf eine
Weise angesprochen werden, die Verständnis und ggf. Veränderung
ermöglicht.
Gerade nach meiner oben beschriebenen Erfahrung in der Wohngemeinschaft
war es mir immer wichtig, dass ich anderen signalisiere, dass ich für
Kritik offen sein möchte. Und mein persönliches Ziel war sogar, dass das
gelten sollte unabhängig davon, in welchem Ton und unter welchen
Bedingungen (z.B. im größeren Kreis) die Kritik vorgebracht wurde. Ich
muss aber zugeben, dass meine Bereitschaft, dagegen zu argumentieren und
mich der Kritik innerlich zu verschließen, meist in dem Maße stieg, in
dem die entspannte Atmosphäre oder die Vertraulichkeit fehlte. Selbst
bei guten Erfahrungen mit Kritik gibt es wohl doch gute und nicht so
gute Rahmenbedingungen dafür.
Es geht aber ja nicht nur um Kritik. Bei unseren Allernächsten,
besonders (aber nicht nur) bei unseren Kindern, sollten wir natürlich
vor allem positive, bestärkende Signale senden. In Problembereichen
sollte Ermutigung möglichst früh einsetzen, schon bei erkennbaren
Bemühungen und nicht erst bei tatsächlichen Ergebnissen. Wir sollten
Gesprächsbereitschaft signalisieren, Vertrauen wachsen lassen,
Vertraulichkeit anbieten und bewahren und insgesamt eine Atmosphäre
schaffen, in der man miteinander redet. Über Oberflächliches, aber
gelegentlich auch über Tieferes. Man braucht nicht allzu viel Phantasie,
um sich vorzustellen, dass dadurch Lebenswege verändert werden. Bei
allen Beteiligten.
3. Sprachlos in der Ehe?
Alles im vorigen Abschnitt Gesagte bezieht natürlich auch den
Ehepartner mit ein. Aufgrund des enormen Potenzials einer Ehe, zum
Positiven wie auch zum Negativen, möchte ich hierzu ein paar zusätzliche
Gedanken weitergeben.
Die folgenden Kommunikationskiller gibt es nicht nur in der Ehe, aber
in der Ehe lohnt es sich am ehesten, sie bewusst zu entschärfen:
- Ein Partner ist (vermeintlich) argumentationsstärker und tendiert
dazu, jede ihm nicht genehme Aussage wegzudiskutieren. Das war in
unseren ersten Ehejahren bei mir so. Wir haben damals die generelle
Vereinbarung getroffen, dass meine Frau einfach sagen darf: „Egal, was
du jetzt alles noch dagegen sagen möchtest, ich bleibe dabei.“ Wir waren
dann meistens in der Lage, trotz abgekürzter Diskussion eine vernünftige
Lösung zu finden. Und, ehrlich gesagt, ich lernte im Laufe der Zeit die
Meinung meiner Frau zu schätzen, auch wenn sie nicht immer in der Lage
war, beliebig viele Argumente dafür ins Feld zu führen. Es dürfte weit
über zehn Jahre her sein, dass sie sich zum letzten Mal auf unsere
damalige Vereinbarung berufen musste.
- Ein Partner neigt dazu, seinen Standpunkt derart massiv zu
vertreten, dass der andere (aus Erfahrung) weiß, jetzt bewahrt ihn nur
noch sofortige und bedingungslose Zustimmung vor dem Desaster. Auch für
solche Fälle wäre eine generelle Vereinbarung denkbar, z.B. die
Rettungsformel: „Lass uns erstmal davon ausgehen, dass wir das gleich in
deinem Sinne entscheiden. Vorher möchte ich aber die Gründe dafür noch
besser verstehen.“ Auch damit würde ich die Hoffnung verbinden, dass
solche Fälle im Laufe der Zeit seltener werden, weil der eine Partner
merkt, dass er Gespräch nicht durch massives Auftreten abkürzen kann.
- Ein Partner ist zwar scheinbar offen für Kritik; wenn aber der
andere tatsächlich mal etwas äußert, das sein Verhalten in nicht ganz
idealem Licht erscheinen lässt, findet man sich plötzlich in einer
Diskussion wieder, was der andere alles falsch macht, oder wie unmöglich
das Alltagsleben unter diesen Bedingungen ist, oder was er alles für
den anderen Partner tut, und überhaupt was sich alles grundsätzlich
ändern müsste. Dabei kann vieles durchaus berechtigt sein, d.h. so
erfährt man auf einfachste Weise, was eigentlich in der eigenen Ehe
alles suboptimal ist. Aber Spaß beiseite, das hört sich erst mal
ziemlich mies an, es kann aber einfach die (unbewusste) Einstellung
dahinter stecken: Kritisier du mich nicht, dann kritisier ich dich auch
nicht. Im besten Fall gepaart mit einer hohen Bereitschaft für
Verständnis bei eigentlich kritikwürdigem Verhalten des Partners.
Trotzdem sollte man einfach mal in entspannter Atmosphäre ein
grundsätzliches Gespräch anfangen darüber, wie die Partner mit
gegenseitiger Kritik umgehen (wollen). Dabei dürfte das Gespräch den
besten Start haben, wenn ganz am Anfang die Vermutung geäußert wird,
dass viel Verständnis füreinander und wenig Neigung zu Kritik vorhanden
ist. Eine generelle Vereinbarung könnte dann so aussehen, dass jeder
Partner das Recht hat zu sagen: „Bitte lass uns zunächst mal über den
Punkt reden, den ich ursprünglich genannt habe. Und danach könntest du
noch mal in Ruhe Themen nennen, über die wir auch noch sprechen sollten,
wenn du das willst.“ Damit würde ich die Hoffnung verbinden, dass der
kritisierte Partner die Kritik positiv einordnen kann und dann kaum
noch ein Bedürfnis hat, viele andere Punkte durchzudiskutieren.
Wer meint, man müsse solche Sachen doch nicht unbedingt grundsätzlich
ansprechen, nimmt damit in Kauf, dass die Mauer der Sprachlosigkeit
allmählich Steinchen für Steinchen wächst.
Außerdem möchte ich ermutigen, dass ihr es nicht zulasst, dass ein
einziges Blockadethema (anfänglich) euch in eine mehr und mehr
umfassende Sprachlosigkeit treibt. Ob nun nach einem schwierigen
Gespräch bei einem Partner die „Nie-wieder-Automatik“ angesprungen ist,
oder ob einer der Meinung ist, bei bestimmten Themen kann aus einem
Gespräch mit diesem Partner nichts Vernünftiges rauskommen: Lasst nicht
einfach das Schweigen die Oberhand gewinnen. Sondern versucht, ggf. im
Gespräch mit anderen, eine Lösung zu finden, die euch aus der
Sprachlosigkeit rausholt.
Das Ergebnis eines Gesprächs muss nicht immer Einigkeit sein. Es kann
auch sein, dass man nun die unterschiedlichen Standpunkte kennt und
ansatzweise nachvollziehen kann, aber keiner auf den Standpunkt des
anderen umschwenken will und auch kein Kompromiss möglich scheint.
Trotzdem kann man fast immer einen Weg finden, wie das Leben weiter
gehen kann ohne dass immer wieder dieses Thema Probleme macht. Wenn
beide sich einig sind (oder werden können), dass es besser wäre, einen
bestimmten, nicht allzu zentralen Themenbereich bis auf Weiteres
auszuklammern, warum nicht? Dann ist in anderen Bereichen wieder das
Gespräch möglich.
Es mag einen Ehe-Zustand geben, in dem es so scheint, als könne man mit
Sprachlosigkeit ganz gut leben. Zumal wenn man Menschen kennt, die
anscheinend schon länger recht gut mit Sprachlosigkeit in ihrer Ehe
leben können. Ich frage mal provokativ: Weißt du dann überhaupt, wie
zufrieden dein Partner noch mit eurer Ehe ist? Wenn du ihn fragst, ob er
zufrieden ist, wird er immer ja (einigermaßen, geht so, ...) sagen, denn
sonst wäre eure Sprachlosigkeit auf „schreckliche“ Weise beendet. Wann
also wirst du von seiner Unzufriedenheit erfahren? Wenn er es gar nicht
mehr aushält. Die Chancen, dann noch (in mühsamen Gesprächen!) eine
neue Basis für eure Ehe zu finden, dürften eher gering sein, wenn ihr
die Sprachlosigkeit so lange trainiert habt.
Vorschlag: Ihr verabredet euch mit einem erfahrenen Ehepaar oder mit
einem Eheberater zu einem Gespräch. Ihr bereitet euch darauf vor, indem
jeder die Themenbereiche auf einen Zettel schreibt, über die er am
liebsten überhaupt nicht mehr bzw. nur unter bestimmten Voraussetzungen
reden würde. Im Gespräch zu dritt oder viert könnt ihr dann
„Sonderregelungen“ für die schwierigen Themen erarbeiten und vereinbaren
(im Zweifel zunächst weiter
„Sprachlosigkeit“). Damit macht ihr den Weg frei, dass ihr zu zweit
generell wieder über Themenbereiche sprechen könnt, die die Beziehung
direkt oder indirekt betreffen.
4. Innere Schritte gegen die Sprachlosigkeit
Wer merkt, dass er viele Situationen mit sich allein ausmacht, sollte
eine höhere Bereitschaft entwickeln, andere mit hinein zu nehmen und
ggf. auch mit anderen zusammen für persönliche Anliegen zu beten.
Ein weiterer Schritt ist mehr Offenheit gegenüber Menschen, denen man
(nach und nach mehr) vertraut. Wenn andere mehr von dir mitkriegen,
kannst du von ihren Erfahrungen und Gedanken profitieren. Sie können
dich auf guten Wegen unterstützen und dich aufmerksam machen, wenn du
dabei bist, einen nicht so guten Weg zu beschreiten.
Es gibt typische Situationen, in denen es eigentlich immer sinnvoll
ist, mit anderen darüber ins Gespräch zu kommen, auch wenn man selbst
vielleicht gar keinen Gesprächsbedarf sieht. Beispiele:
- Als Jugendliche/r: Themen, über die man mit den Eltern nicht
sprechen mag bzw. sich unverstanden fühlt.
- Als Jugendliche/r: Sehnsucht nach dem anderen Geschlecht.
- Auszug aus dem Elternhaus.
- Beginn einer Freundschaft.
- Weitere Annäherung im Verlauf einer Freundschaft.
- Schritte hin zu Verlobung und Hochzeit.
- Beginn einer Ehe.
- Unerfüllter Wunsch nach Partnerschaft/Ehe.
- Schwangerschaft, Geburt eines Kindes, Zusammenbrechen der
gewohnten Zeiteinteilung.
- Kinderlosigkeit.
- Die Kinder entwickeln sich nicht so, wie man das hofft.
- Uneinigkeit mit dem Partner in wesentlichen Punkten (z.B.
Zeiteinteilung, Erziehungsstil, Umgang mit Geld, Sex).
- Unzufriedenheit mit dem Alltag, Wunsch nach mehr oder weniger
Berufstätigkeit.
- Probleme bei beruflichen Aufgaben oder mit Kollegen/Vorgesetzten.
- Bevorstehende Entscheidung für oder gegen einen weiteren
Karriereschritt oder sonstige berufliche Veränderung.
- (Bevorstehende) Trennung vom Partner.
- Beeinträchtigung durch Krankheit.
- Verlust eines nahen Angehörigen.
In einer Partnerschaft ist dabei nicht das Ablästern über den Partner
gemeint. Es kann sinnvoll sein, über bestimmte Themen als Paar gemeinsam
mit einem anderen Paar zu sprechen. Jeder wird auch
Einzel-Gesprächspartner haben, und der Partner sollte darüber informiert
sein, dass man mit denen auch über Situationen in der Ehe spricht. Dabei
sollte unbedingt klar sein, dass das Gesagte vertraulich bleibt.
Die möglichen Gesprächspartner möchte ich mal in drei Gruppen einteilen:
- Freunde, die i.d.R. etwa gleich alt sind und in ungefähr
vergleichbaren Situationen stehen.
- Menschen, die im betreffenden Themenbereich über längere
Erfahrungen verfügen als man selbst.
- Profis (z.B. Seelsorger, Psychologen, Psychotherapeuten).
Dabei sind die Grenzen zwischen den Gruppen oft fließend. Z.B.
gleichaltrige Freunde, die schon länger verheiratet sind und Kinder
haben. Oder erfahrene Seelsorger, die mit seelsorgerlichen Gesprächen
nicht ihr Geld verdienen.
Es ist empfehlenswert, nicht nur mit Menschen der ersten Gruppe ins
Gespräch zu kommen, auch wenn das natürlich das Naheliegendste ist. Und
ich meine gar nicht nur Gespräche, die man vorher bewusst vereinbart
hat. Sondern auch Begegnungen im Alltag oder am Rande von
Veranstaltungen, bei denen man mal etwas davon durchblicken lässt, was
einen momentan beschäftigt.
So komisch es klingt, diesen Text schreibe ich auch ein Stück weit an
mich selbst. Wie gesagt, ich habe bisher in manchen Bereichen nicht so
recht die Motivation, mich anderen zu öffnen. Zumal ich momentan
eigentlich rundum glücklich bin, auch und besonders in unserer Ehe. Aber
das war ja wohl nicht das Kriterium, oder?
Oktober 2004 Walter Schittek
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