Sprachlos in der Kommunikationsgesellschaft?

Viele Menschen nutzen nicht das Potenzial, das im persönlichen Gespräch liegt. Und merken oft zu spät, welche Folgen das hat.

Ich bin ein ziemlich kommunikativer Mensch. Manchmal zu mitteilsam, meint (nicht nur) meine Frau. Okay, es scheint da ein gutes Normalmaß zu geben, das ich nicht immer ganz treffe. Aber man kann auch auf der anderen Seite vom Pferd fallen. In letzter Zeit gewinne ich immer mehr den Eindruck, dass viele Menschen ihr Leben durch Sprachlosigkeit unnötig einschränken und sich von vielen guten Möglichkeiten abschneiden. Vielleicht mehr Männer als Frauen, aber sicher auch Frauen.
Das Wort „sprachlos“ ist an dieser Stelle natürlich nicht ganz treffend; ich möchte es aber verwenden, um zu provozieren, um aufzurütteln.
Kann es sein, dass sich um uns herum eine Kultur der „Sprachlosigkeit“ entwickelt hat? Eine Kultur des Stillhaltens als der Methode, mit der man am wenigsten aneckt, vermeintlich am seltensten Schwieriges erlebt? Natürlich kann ein Mensch sich bewusst dafür entscheiden und trägt dann halt die Folgen. Aber ich habe den Verdacht, dass allzu viele unbewusst in eine solche Haltung hinein gewachsen (geschrumpft?) sind. Und trotzdem die gleichen Folgen tragen.
Mir geht es dabei nicht darum, wie viele Worte jemand pro Tag sagt. Auch jemand, der zu allem und jedem eine Meinung äußert, kann „sprachlos“ sein. Ich meine Gespräche, die uns weiter bringen.
Natürlich brauchen wir Smalltalk, wir brauchen Gespräche über die große Politik und über das neue Auto. Wir brauchen Gespräche über Äußerlichkeiten und über Leute, denen wir lieber aus dem Weg gehen (würden). Aber wir brauchen auch Gespräche über Inneres, über unseren Umgang miteinander, über Sehnsüchte und die langjährige Wirklichkeit.
Viele werden sagen: Das ist für mich eigentlich kein Problem. Wenn ich mal über so etwas mit jemandem reden will, dann finde ich auch jemanden und mache das. Das ist gut! Das ist zwar noch nicht alles, auf was ich hinaus will, aber bestimmt schon die „halbe Miete“. Es gibt genug Leute, darunter viele Männer, die schon dabei denken: Schön wär’s.
Aber ich möchte, zumindest für die „Fortgeschrittenen“, noch ein bisschen weiter gehen. Es ist sicher gut, wenn ich in einer entsprechenden Situation jemanden finde, der mir zuhört und vielleicht gar nicht so viel dazu sagt. Auch wenn wir gemeinsam beten für ein Anliegen, das ich habe. Was ich darüber hinaus meine, sind Situationen, in denen ich selbst vielleicht gar keinen Gesprächsbedarf sehe. Oder in denen ich bestimmte Fragen oder Gebetsanliegen habe, aber der Kern der Sache vielleicht woanders liegt.

Ehe ich dazu noch ein paar allgemeine und auch speziellere Gedanken weitergebe, hier zunächst einfach mal ein Beispiel:
Steffen ist Anfang 30 und würde gerne heiraten. Diesen Wunsch hat er nicht erst seit ein paar Jahren. Eigentlich ununterbrochen seit der Jugendzeit, also seit über 15 Jahren, sehnt er sich nach einer Freundin. Er hat auch zwei relativ kurze Freundschaften gehabt, die letzte mit 19. Seitdem hat er sich sehr positiv entwickelt. Er interessiert sich immer wieder für Frauen, die er kennen lernt, aber wenn mal eine Frau für ihn etwas Interesse zu haben schien, dann verlor sich das nach Tagen oder spätestens Wochen. Er sagt sich, dass er einfach noch nicht die Richtige gefunden hat, und betet weiter, dass Gott dieses große Problem in seinem Leben lösen möge. Die Männer, mit denen Steffen gelegentlich etwas unternimmt, könnten viele Punkte benennen, die ihn eigentlich für Frauen attraktiv machen müssten, aber keinen einzigen nachteiligen.
An einem Sonntagnachmittag macht Steffen einen Spaziergang mit Peter, einem zehn Jahre älteren, verheirateten Mann, mit dem er bisher nur wenig zu tun hatte. Peter erzählt im Verlauf des Gesprächs, als das gerade gut passt, einiges aus seinem Leben und auch aus seiner Single-Zeit. Das wiederum ermutigt Steffen, Peter ein wenig von seinem bisher vergeblichen Wunsch nach einer Freundin zu berichten. Im weiteren Gespräch über verschiedene Themen fasst Steffen mehr Vertrauen zu Peter, und Peter stellt ihm ein paar gezielte Fragen zu seinem Umgang mit Frauen und mit seinem Single-Dasein. Im Gespräch darüber kristallisieren sich ein, zwei Punkte heraus, die möglicherweise tatsächlich bei Frauen die „Vorsicht-Lampe“ aufleuchten lassen. Im Laufe der nächsten Monate sprechen Steffen und Peter noch zwei, drei Mal über den Themenbereich, und Steffen sieht einige Zusammenhänge klarer. Er überdenkt seine Einstellungen gegenüber Frauen, die sich auf sein Verhalten auswirken. Auch sein Leben als Single sieht er in einem neuen Licht.
Steffen ist jetzt, ein Jahr nach dem ersten Spaziergang mit Peter, immer noch Single. Aber ein glücklicherer.

Bei diesem Beispiel geht es mir nicht um das Thema unfreiwilliges Single-Dasein, sondern darum, welchen Unterschied Bereitschaft zum offenen Gespräch machen kann. Ich möchte es mal in einem Kernsatz zusammenfassen: Zu jeder Situation, in der ich mich befinde, gibt es ein zusätzliches Potenzial an Informationen, möglichen Wegen und Unterstützung, das ich nur dann erschließen kann, wenn ich mit anderen darüber spreche. Und, um noch eins draufzusetzen: Manchmal liegen die Knackpunkte an Stellen, die ich von mir aus gar nicht ins Gespräch gebracht hätte.

1. Sprachlos, weil ich selbständig bin?

Die meisten von uns sind durch Schule, Ausbildung, Internet-Nutzung zur Selbständigkeit getrieben worden, was ja eigentlich sehr gut ist. Bei Dienstleistungen heißt es heute: Hilf dir selbst, informiere dich selbst, sonst wird’s teuer. Mein eigener Umgang mit Situationen, in denen ich mich befinde, passt gut in diese Linie. Mit meiner Frau spreche ich viel, aber bevor ich mich mal jemand anderem anvertraue, neige ich dazu, erst mal alle Möglichkeiten auszureizen, selbst einen Weg zu finden, auch wenn es vielleicht nicht der beste ist.
Zeitmangel, egal ob objektiv oder nur subjektiv empfunden, kann verhindern, dass Gespräche eine fruchtbare Tiefe erreichen oder überhaupt zustande kommen. So durchlebt man Situationen in erzwungener Selbständigkeit. Das Gefühl des ständigen Effektiv-Sein-Müssens kenne ich gut aus eigener Erfahrung und möchte nicht wieder dahin zurück. Unmerklich wird aus einer Übergangszeit, in der es sicher sinnvoll ist, alle Kräfte auf ein Ziel zu bündeln, ein Dauer-Ausnahmezustand, wie es bei mir über zehn Jahre lang fast ununterbrochen war. Nun, nach Ende dieser Phase, möchte ich mir den Zustand erhalten, dass ich Zeit für Menschen habe, und nicht nur für das Dringendste und Wichtigste. Und dass ich auch Zeit habe, mich anderen mitzuteilen. Dann können Gespräche entstehen, die uns weiter bringen.
Wohl jeder Mensch hat eine „Nie-wieder-Automatik“, die bei extrem negativen Erlebnissen alle inneren Hebel in Bewegung setzt, damit man so etwas nie wieder erlebt. Leider meist mit einer Reihe von Zusatzwirkungen, die oft destruktiv sind. Wenn ein Mensch irgendwann in seinem Leben erlebt hat, wie mit einem persönlichen Anliegen ungut umgegangen wurde, dann verhindert die Nie-wieder-Automatik u.U., dass er sich jemals wieder jemandem anvertraut. Selbständigkeit als der vermeintlich einzige sichere Weg. Es ist nicht leicht, solch ein Verhaltensmuster umzutrainieren. Man kann sich aber durch schrittweises „Vortasten“, ausgehend vom normalen Umgang miteinander, relativ sicher werden, dass ein Mensch mit einem persönlichen Thema gut umgeht.
Auch die eigenen Eltern haben möglicherweise dazu beigetragen, dass man sich darauf versteift, alles alleine klären zu wollen. Wenn man als junger Mensch ungefragt mit Warnungen und Tipps überhäuft wird, ist die zunächst gesündeste Reaktion darauf, erst einmal alles innerlich abzublocken, was von außen kommt. Man will ja schließlich seine eigenen Erfahrungen sammeln und selbständig das Leben meistern. Es ist aber möglich, als erwachsener Mensch seine Eltern zu respektieren, indem man sich ihre Vorschläge und Warnungen anhört, als Informationen irgendwo am Rande ablegt und dann auf Basis aller Informationen seine Entscheidungen trifft. Genauso ist es möglich, den Rat anderer zu suchen, aber trotzdem letztlich selbst zu entscheiden, welchen Weg man wählt.
Es mag Christen geben, die denken: Wenn Gott mir etwas klar machen will, dann schafft er das auch ohne dass ich anderen Menschen irgendwas von meiner Situation erzähle – durch das Zusammenleben mit Gott bin ich selbständig. Wer tatsächlich sicher ist, dass Gott ihm immer direkt alles Nötige klar machen wird – toll! Was ich in diesem Abschnitt schreibe, richtet sich an alle anderen, die – ähnlich wie ich selbst – bisher erlebt haben, dass Gott auf vielfältige Weise an uns arbeitet und das ganz oft auch durch Menschen tut.
Insgesamt ist es natürlich gut, wenn Menschen möglichst selbständig sind. Niemand möchte ständig wegen jedem Kleinkram um Rat und Hilfe gefragt werden. Aber auch der selbständigste Mensch sollte das Potenzial nicht völlig ungenutzt lassen, das im Gespräch mit anderen liegt. Die Entscheidungen trifft er weiterhin selbst, aber hoffentlich auf einer breiteren, festeren Basis.

2. Sprachlos bei den Allernächsten?

Als die Allernächsten will ich mal die Menschen bezeichnen, mit denen ich zusammen lebe, sei es als Ehepaar, als Familie oder als Wohngemeinschaft. Außerdem meine Verwandten 1. Grades (Eltern, Kinder), auch falls ich nicht mehr mit ihnen unter einem Dach lebe.
Mit 23 Jahren habe ich in einer gemischten Wohngemeinschaft gelebt. Eines Tages sprachen mich meine Mitbewohner auf ein mir unangenehmes Thema an. Das wurde zu einer der Erfahrungen, die mein Leben am meisten positiv geprägt haben, und ich bin ihnen heute noch dankbar dafür. Ich bin mir sicher, dass mein Leben an vielen Stellen einen anderen, ungünstigeren Verlauf genommen hätte, wenn sie das damals nicht getan hätten. Worum ging es?
Ich war als junger Mann seit Jahren der Meinung, ich sei „hart gegenüber mir selbst und anderen“, und das sei eine gute Lebenseinstellung. Meine Mitbewohner öffneten mir die Augen dafür, dass das wohl fast ausschließlich Punkte betraf, in denen es mir leicht fiel, mich an einen von mir selbst vorgegebenen Standard zu halten, während ich den anderen damit das Leben schwer machte. Meine eigenen Schwächen – auf anderen Gebieten – waren mir gut erklärlich, aber die Schwächen der anderen brachte ich immer wieder zur Sprache.
Es gehörte schon einiger Mut dazu, einen so selbstgerechten Menschen wie mich direkt darauf anzusprechen, zumal mir bei kaum einem Thema mal die Argumente ausgingen. Aber meine Mitbewohner haben es geschafft, mich so „aufzurütteln“, dass ich zur Besinnung gekommen bin.
Bei Kritik an den Allernächsten kann man oft vorher schon abschätzen, wie die Reaktion wohl sein wird, gerade wenn man sich schon sehr lange kennt. Deshalb lässt man es meist von vornherein. Damit nimmt man sich selbst und dem anderen aber die Chance auf Veränderung.
Es gibt allerdings auch das ständige Kritisieren, die Nörgelei. Dabei muss man sich fragen, ob die innere Haltung, die dahinter steht, nicht eine grundsätzliche und vielleicht auch spezielle Unzufriedenheit ist. Unbewusst signalisiert der Nörgler: Wenn es mir schon nicht gut geht, möchte ich wenigstens dafür sorgen, dass es anderen um mich herum auch nicht gut geht. Es liegt auf der Hand, dass Nörgeln kein Weg aus der Sprachlosigkeit ist und fruchtbare Gespräche eher verhindert.
Neben dem ständigen Nörgler gibt es noch den Ausbruch-Kritisierer. Er bemüht sich meistens um eine positive Atmosphäre ohne Nörgelei. Aber manchmal, selten, möglicherweise wenn er gerade mit etwas (anderem) unzufrieden ist, bricht alle aufgestaute Kritik aus ihm heraus. So intensiv und so lange, bis – wie bei einem Gewitter – er wieder „entladen“ ist, auf Kosten des Beschimpften. Der ist meist damit überfordert, aus dem ganzen Haufen Kritik alles Ungerechtfertigte und Übertriebene ungeprüft zu „entsorgen“ und die ein, zwei Punkte tatsächlich angebrachter Kritik herauszufiltern, gerade wenn bei dem Ausbruch wenig Liebe zu spüren war.
Wir sind halt nur Menschen und sollten in unserem eigenen Interesse Aggressionen nicht in uns hinein fressen. Aber zu konstruktiver Kommunikation gehört auch, dass wir uns nach einer Phase des Nörgelns oder einem Kritik-Ausbruch besinnen und den anderen in möglichst entspannter Atmosphäre um Vergebung bitten für die falsche Art der Kommunikation. Wenn das bereinigt ist, könnte man die Frage anschließen, ob er die innere Offenheit hätte, konstruktiv über ein (!!) Thema zu sprechen, das noch in der Luft hängt. Diese Frage darf aber nicht rhetorisch rüber kommen, d.h. der andere sollte tatsächlich die Möglichkeit haben zu sagen, dass er diese Offenheit (momentan) nicht hat, aber an einem anderen Tag vielleicht noch mal darüber sprechen wollen würde. In einer relativ entspannten Situation, in der gegenseitiges Wohlwollen oder Liebe vorherrscht, kann ein Thema auf eine Weise angesprochen werden, die Verständnis und ggf. Veränderung ermöglicht.
Gerade nach meiner oben beschriebenen Erfahrung in der Wohngemeinschaft war es mir immer wichtig, dass ich anderen signalisiere, dass ich für Kritik offen sein möchte. Und mein persönliches Ziel war sogar, dass das gelten sollte unabhängig davon, in welchem Ton und unter welchen Bedingungen (z.B. im größeren Kreis) die Kritik vorgebracht wurde. Ich muss aber zugeben, dass meine Bereitschaft, dagegen zu argumentieren und mich der Kritik innerlich zu verschließen, meist in dem Maße stieg, in dem die entspannte Atmosphäre oder die Vertraulichkeit fehlte. Selbst bei guten Erfahrungen mit Kritik gibt es wohl doch gute und nicht so gute Rahmenbedingungen dafür.
Es geht aber ja nicht nur um Kritik. Bei unseren Allernächsten, besonders (aber nicht nur) bei unseren Kindern, sollten wir natürlich vor allem positive, bestärkende Signale senden. In Problembereichen sollte Ermutigung möglichst früh einsetzen, schon bei erkennbaren Bemühungen und nicht erst bei tatsächlichen Ergebnissen. Wir sollten Gesprächsbereitschaft signalisieren, Vertrauen wachsen lassen, Vertraulichkeit anbieten und bewahren und insgesamt eine Atmosphäre schaffen, in der man miteinander redet. Über Oberflächliches, aber gelegentlich auch über Tieferes. Man braucht nicht allzu viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass dadurch Lebenswege verändert werden. Bei allen Beteiligten.

3. Sprachlos in der Ehe?

Alles im vorigen Abschnitt Gesagte bezieht natürlich auch den Ehepartner mit ein. Aufgrund des enormen Potenzials einer Ehe, zum Positiven wie auch zum Negativen, möchte ich hierzu ein paar zusätzliche Gedanken weitergeben.
Die folgenden Kommunikationskiller gibt es nicht nur in der Ehe, aber in der Ehe lohnt es sich am ehesten, sie bewusst zu entschärfen:
Wer meint, man müsse solche Sachen doch nicht unbedingt grundsätzlich ansprechen, nimmt damit in Kauf, dass die Mauer der Sprachlosigkeit allmählich Steinchen für Steinchen wächst.
Außerdem möchte ich ermutigen, dass ihr es nicht zulasst, dass ein einziges Blockadethema (anfänglich) euch in eine mehr und mehr umfassende Sprachlosigkeit treibt. Ob nun nach einem schwierigen Gespräch bei einem Partner die „Nie-wieder-Automatik“ angesprungen ist, oder ob einer der Meinung ist, bei bestimmten Themen kann aus einem Gespräch mit diesem Partner nichts Vernünftiges rauskommen: Lasst nicht einfach das Schweigen die Oberhand gewinnen. Sondern versucht, ggf. im Gespräch mit anderen, eine Lösung zu finden, die euch aus der Sprachlosigkeit rausholt.
Das Ergebnis eines Gesprächs muss nicht immer Einigkeit sein. Es kann auch sein, dass man nun die unterschiedlichen Standpunkte kennt und ansatzweise nachvollziehen kann, aber keiner auf den Standpunkt des anderen umschwenken will und auch kein Kompromiss möglich scheint. Trotzdem kann man fast immer einen Weg finden, wie das Leben weiter gehen kann ohne dass immer wieder dieses Thema Probleme macht. Wenn beide sich einig sind (oder werden können), dass es besser wäre, einen bestimmten, nicht allzu zentralen Themenbereich bis auf Weiteres auszuklammern, warum nicht? Dann ist in anderen Bereichen wieder das Gespräch möglich.
Es mag einen Ehe-Zustand geben, in dem es so scheint, als könne man mit Sprachlosigkeit ganz gut leben. Zumal wenn man Menschen kennt, die anscheinend schon länger recht gut mit Sprachlosigkeit in ihrer Ehe leben können. Ich frage mal provokativ: Weißt du dann überhaupt, wie zufrieden dein Partner noch mit eurer Ehe ist? Wenn du ihn fragst, ob er zufrieden ist, wird er immer ja (einigermaßen, geht so, ...) sagen, denn sonst wäre eure Sprachlosigkeit auf „schreckliche“ Weise beendet. Wann also wirst du von seiner Unzufriedenheit erfahren? Wenn er es gar nicht mehr aushält. Die Chancen, dann noch (in mühsamen Gesprächen!) eine neue Basis für eure Ehe zu finden, dürften eher gering sein, wenn ihr die Sprachlosigkeit so lange trainiert habt.
Vorschlag: Ihr verabredet euch mit einem erfahrenen Ehepaar oder mit einem Eheberater zu einem Gespräch. Ihr bereitet euch darauf vor, indem jeder die Themenbereiche auf einen Zettel schreibt, über die er am liebsten überhaupt nicht mehr bzw. nur unter bestimmten Voraussetzungen reden würde. Im Gespräch zu dritt oder viert könnt ihr dann „Sonderregelungen“ für die schwierigen Themen erarbeiten und vereinbaren (im Zweifel zunächst weiter „Sprachlosigkeit“). Damit macht ihr den Weg frei, dass ihr zu zweit generell wieder über Themenbereiche sprechen könnt, die die Beziehung direkt oder indirekt betreffen.

4. Innere Schritte gegen die Sprachlosigkeit

Wer merkt, dass er viele Situationen mit sich allein ausmacht, sollte eine höhere Bereitschaft entwickeln, andere mit hinein zu nehmen und ggf. auch mit anderen zusammen für persönliche Anliegen zu beten.
Ein weiterer Schritt ist mehr Offenheit gegenüber Menschen, denen man (nach und nach mehr) vertraut. Wenn andere mehr von dir mitkriegen, kannst du von ihren Erfahrungen und Gedanken profitieren. Sie können dich auf guten Wegen unterstützen und dich aufmerksam machen, wenn du dabei bist, einen nicht so guten Weg zu beschreiten.
Es gibt typische Situationen, in denen es eigentlich immer sinnvoll ist, mit anderen darüber ins Gespräch zu kommen, auch wenn man selbst vielleicht gar keinen Gesprächsbedarf sieht. Beispiele:
In einer Partnerschaft ist dabei nicht das Ablästern über den Partner gemeint. Es kann sinnvoll sein, über bestimmte Themen als Paar gemeinsam mit einem anderen Paar zu sprechen. Jeder wird auch Einzel-Gesprächspartner haben, und der Partner sollte darüber informiert sein, dass man mit denen auch über Situationen in der Ehe spricht. Dabei sollte unbedingt klar sein, dass das Gesagte vertraulich bleibt.
Die möglichen Gesprächspartner möchte ich mal in drei Gruppen einteilen:
Dabei sind die Grenzen zwischen den Gruppen oft fließend. Z.B. gleichaltrige Freunde, die schon länger verheiratet sind und Kinder haben. Oder erfahrene Seelsorger, die mit seelsorgerlichen Gesprächen nicht ihr Geld verdienen.
Es ist empfehlenswert, nicht nur mit Menschen der ersten Gruppe ins Gespräch zu kommen, auch wenn das natürlich das Naheliegendste ist. Und ich meine gar nicht nur Gespräche, die man vorher bewusst vereinbart hat. Sondern auch Begegnungen im Alltag oder am Rande von Veranstaltungen, bei denen man mal etwas davon durchblicken lässt, was einen momentan beschäftigt.

So komisch es klingt, diesen Text schreibe ich auch ein Stück weit an mich selbst. Wie gesagt, ich habe bisher in manchen Bereichen nicht so recht die Motivation, mich anderen zu öffnen. Zumal ich momentan eigentlich rundum glücklich bin, auch und besonders in unserer Ehe. Aber das war ja wohl nicht das Kriterium, oder?

Oktober 2004     Walter Schittek
 

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